Losgelöst von Zeit und Raum

von Bernd Schuster

Es ist noch nicht allzu lange her, da war „Gleitzeit“ der Inbegriff flexibler Arbeitszeit. Nicht mehr um Punkt 8:30 Uhr antanzen müssen und um 17:00 Uhr ist Feierabend. Eine Stunde Spielraum nach vorne und nach hinten, das war es. Tatsache ist, dass sich die Strukturen in der Berufswelt zeitlich und räumlich auflösen: Aus Telearbeit - einst von Unternehmen als Entgegenkommen für junge Mütter geschaffen - wurde das Homeoffice.

Die Präsenzkultur, die denjenigen belohnt, der abends am längsten an seinem Schreibtisch sitzt, weicht ergebnis-orientiertem Arbeiten, bei dem das Resultat zählt, nicht die investierte Arbeitszeit. Arbeiten wo man will und wann man will - mittlerweile wissen viele die Vorteile der neuen Freiheit zu schätzen, die früher bestenfalls Selbstständigen oder einigen Kreativen vorbehalten war.

Wunsch und Realität

Ein Großteil möchte am liebsten bei einer Firma arbeiten, die flexible Arbeit anbietet. Dem steht ein deutlich geringerer Teil gegenüber, der jetzt schon seinen Arbeitsplatz entsprechend seinen Bedürfnissen anpassen kann. Was das genau in Zahlen heißt, kann man der Studie Recruiting Trends 2015, die das Karriereportal Monster jährlich in Zusammenarbeit mit den Universitäten Bamberg und Frankfurt veröffentlicht hat entnehmen. 85,9 Prozent der Befragten würden am liebsten bei einem Unternehmen arbeiten, das flexible Arbeitszeitmodelle anbietet. Allerdings scheint das tatsächliche Angebot flexibler Arbeitsformen in Deutschland eher gering zu sein. So ist nur etwa jeder zweite Befragte der der Ansicht, ausreichend viele Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung seiner Arbeitszeit zu haben, und lediglich 43,4 Prozent können nach eigenen Angaben Arbeit von zu Hause aus erledigen.

Der Ruf nach Flexibilität ist laut

Klar ist schon jetzt: Ein fehlendes Angebot flexibler Arbeitsplatzmodelle kann sich in Zukunft kritisch bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter auswirken. Insbesondere bei der Rekrutierung gut ausgebildeter Frauen mit Kinderwunsch, kann das Homeoffice zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.

Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen experimentieren deshalb zunehmend mit Arbeitsmodellen. Microsoft zum Beispiel hat für seine nach eigenen Angaben zu 90 Prozent aus Wissensarbeitern bestehende Belegschaft in Deutschland die Büropflicht abgeschafft. Stattdessen kennt die Betriebsvereinbarung neben der Vertrauensarbeitszeit jetzt auch den Begriff Vertrauensarbeitsort. Ob im Café, im Zug, mit aufgeklapptem Laptop auf der Terrasse, im Café oder gleich am See - Hauptsache, die Präsentation wird rechtzeitig fertig.

Alles nur eine Frage der Umsetzung?

Um Mitarbeitern und Vorgesetzten den Übergang zu erleichtern, gibt es bei Microsoft Coaches, die erklären, wie man es anstellt, dass die Kommunikation nicht leidet, wenn man sich nicht mehr täglich begegnet. Daneben hat das Unternehmen einen Leitfaden mit jeweils zehn Regeln für Angestellte und Unternehmen entwickelt.

Bei den Chefs im Hausaufgabenheft steht jetzt etwa:

  • Führung nicht vernachlässigen
  • Gemeinschaftsgefühl stärken
  • Neue Meetingkultur schaffen

Angestellte müssen dafür lernen, wie sie

  • ihren Arbeitsrhythmus neu definieren
  • sich selbst managen
  • sich mit Kollegen austauschen
  • nach Feierabend abschalten

Neue Wege der Arbeitsorganisation

Insgesamt muss man davon ausgehen, dass sich flexible Arbeit weiter durchsetzen wird. Junge Menschen, die quer über den Globus mit Freunden vernetzt sind, in Echtzeit Fotos und Filme teilen und kommunizieren wann und wo es ihnen in den Sinn kommt, werden nicht einsehen, warum sie ihre Arbeit an einem fest definierten Ort zu einer vereinbarten Zeit erbringen sollen. Um Mitarbeiter und Kandidaten künftig zu überzeugen, werden sich viele Betriebe von starrer Arbeitsorganisation, wie sie heute oft noch üblich ist, verabschieden müssen.

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