Distanz und Nähe - ein Spagat für Chefs

von Bernd Schuster

Mehr und mehr Führungskräfte warten nicht mehr, bis die Mitarbeiter kommen, sondern gehen direkt zu ihnen.

Der Besuch kam plötzlich und unerwartet. Die Mitarbeiter der Kölner Karstadt-Filiale in der Breite Straße staunten nicht schlecht, als ihre künftige Chefin, die Schwedin Eva-Lotta Sjöstedt, plötzlich in der Beauty-Abteilung stand, um mitzuarbeiten.

Anfang des Jahres reiste die ehemalige Ikea-Managerin durch Deutschland, um sich vor Ort ein Bild von den Karstadt-Warenhäusern zu machen. Der Kontakt zu den Kunden und zu den Mitarbeitern, die bei Karstadt schon einiges einstecken mussten, sei ihr sehr wichtig. Sie scheute sich in Köln nicht, selbst Ware einzuräumen, Kunden zu bedienen oder zu kassieren.

Chefs mit Bodenhaftung
Die richtige Mischung aus Nähe und Distanz zu den Mitarbeitern zu finden ist eine der großen Herausforderungen des Chefseins. Auch Topmanager anderer Branchen beweisen Bodenhaftung.

Ex-Lufthansa-Chef Jürgen Weber servierte gelegentlich als Steward Tomatensaft in der Economy Class und Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post, trägt schon mal Briefe aus. TUI-Chef Friedrich Joussen stand, als er noch beim Mobilfunk-Unternehmen Vodafone war, öfters in Handyshops hinterm Verkaufstresen.

Keine falschen Bärte, kein Versteckspiel
Anders als bei „Undercover Boss“ im Fernsehen kleben sich diese Manager aber keine falschen Bärte an, wenn sie sich unter ihre Kollegen mischen. Sie sind so präsent im Unternehmen, dass sie ohne Versteckspiel wissen, was ihre Mitarbeiter umtreibt.

Es geht allerdings auch anders. Der frühere HSH-Nordbank-Vorstandsvorsitzende Dirk Jens Nonnenmacher trug den Spitznamen „Dr. No“, weil Mitarbeiter ihn höchstens mal in der Tiefgarage sichteten. Von Peter Löscher, Ex-Siemens-Chef, heißt es, dass er nur beim Fußball auftaute. So etwa, als er während der Fußball-WM 2010 mehrere Hundert Siemensianer zum Public Viewing in München einlud und als kleines Willkommensgeschenk Bälle ins Publikum kickte. Bei RWE und Thyssen-Krupp schafften erst Jürgen Großmann und Heinrich Hiesinger die exklusiven Vorstandsaufzüge ab und viele Banken und Versicherungen schotteten lange Zeit ihr Führungspersonal geradezu hermetisch ab.

Aber auch Chefs, an die man nicht rankommt, kommunizieren mit ihren Mitarbeitern. Ihre Botschaft ist klar: Ich weiß selbst, wo es langgeht. Das Problem ist nur, dass dieses Versprechen heute niemand mehr einlösen kann, dafür sind die Märkte zu komplex und zu volatil geworden. Mit der Heldenpose kann man heute kein Vertrauen mehr bei den Mitarbeitern schaffen. Es zeichnet sich klar ab, dass der Typ des unnahbaren Chefs ausstirbt.

Chef bleibt Chef
Helmut Maucher, der in den 90er-Jahren Nestlé zum größten Nahrungsmittelkonzern der Welt gemacht hatte, empfahl dem Publikum „Management by Walking around“: einfach die Büros abklappern, viel mit Mitarbeitern aller Hierarchieebenen reden, sich mal in der Produktion blicken lassen.

Viele mittelständische Unternehmer wie Wolfgang Grupp vom Textilhersteller Trigema oder Nicola Leibinger-Kammüller vom Werkzeugmaschinenbauer Trumpf zeigen, dass das funktioniert – trotz voller Terminkalender.

Abwesenheit ist nicht nur eine Frage der Zeit, sondern auch der Prioritäten. Wenn Chefs wenig sichtbar im eigenen Unternehmen sind und stattdessen sich die Kalender mit externen Terminen füllen, dann ist das häufig reines Fluchtverhalten, man flieht dorthin, wo man leichter Erfolgserlebnisse sammeln kann. Mitarbeiter erkennen das sofort.

Mitarbeiter lassen sich nicht blenden
Allerdings darf Nähe nicht mit Distanzlosigkeit verwechselt werden. Kumpeltypen gelangen in der Regel nicht in den Vorstand. Und wenn doch, halten sie sich dort nicht lange. Nah bei den eigenen Leuten zu sein ist nur dann eine gute Idee, wenn auch die lockere, informelle Kommunikation als Führungsinstrument verstanden wird. Wer einfach nur nett ist, den entlarven Mitarbeiter schnell als harmloses Leichtgewicht. Mitarbeiter wollen aber von ihren Führungskräften vor allem eines, nämlich Orientierung.

Chef bleibt Chef – damit haben weniger Mitarbeiter ein Problem, als es oft scheint. Ehrlichkeit, Authentizität und das persönliche Engagement von Führungskräften sind die entscheidenden Parameter für die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich zu engagieren. Das menschliche Gehirn verfügt nämlich über außerordentliche Fähigkeiten, sich auch über die Authentizität von Führungskräften ein gutes Urteil zu bilden. Anders ausgedrückt: Menschen tragen in sich die Fähigkeit, sich nicht blenden zu lassen.

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