Warum alte Säcke wahre Schätze sind

von Bernd Schuster

Seine Qualifikation: ausgezeichnet. Seine Motivation: hoch. Seine Zeugnisse: einwandfrei. Warum der Betriebswirt trotzdem keinen neuen Job findet, liegt auf der Hand: Er ist 54 Jahre alt. Dabei hat er noch gut 12 Jahre bis zur Rente. 12 Jahre in denen seine Lebens- und Berufserfahrung Gold wert sind. Übrigens auch ein Paradoxon: Alle sind sich einig, dass Erfahrungen wertvoll sind, aber fast niemand möchte sie von jemandem annehmen. Die Realität ist aber leider, dass man auf dem deutschen Arbeitsmarkt ab Mitte 40 als alter Sack gilt.

Was die Unternehmen an den Älteren stört, sind vor allem die Gehaltsvorstellungen. Wenn ein 25-Jähriger Hochschulabgänger mit 40.000 Euro einsteigt und jedes Jahr zwei Prozent mehr bekommt, verdient er mit 50 rund 64.000 Euro. Und nun fragt sich das Unternehmen: "Warum soll ich für einen Alten knapp 60% mehr bezahlen?"

Den erfahrenen Mitarbeitern wird aber auch oft mangelnde Flexibilität und Leistungsfähigkeit unterstellt. Eine sehr eindimensionale Betrachtung. Tatsache ist, dass das Gehirn in der Lebensmitte neue Stärken entwickelt. Es vermag besser Informationen zu verknüpfen und Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen. Der Psychologe Arthur F. Kramer von der Universität Illinois konnte das an Fluglotsen zeigen. Jüngere Lotsen reagierten in Routinesituationen schneller. Die Älteren dagegen waren im Vorteil, wenn Unvorhergesehenes passierte oder die Informationen vieldeutiger wurden.
Ihre "bessere Performanz in komplexen Situationen" verdanken ältere Fluglotsen wahrscheinlich ihrer langjährigen Expertise, schreiben die Wissenschaftler im "Journal of Experimental Psychology". Ähnliche Experimente gibt es mit Sekretärinnen. Während jüngere Bürodamen schneller tippen, ahnen ältere Kolleginnen aus vorherigen Diktiersitzungen, welcher Text als Nächstes folgt, und können so die fehlende Schreibgeschwindigkeit kompensieren

Sind wertvolle Erfahrungen nur für Manager wichtig?
Interessanterweise entspringt der Jugendwahn den Vorstandsetagen. Grauhaarige Männer, oft um die 60, überlegen fieberhaft, wie sie Mitarbeiter ab 50 loswerden können (sich selbst natürlich ausgenommen) und überdurchschnittliche Gehälter einsparen können (ihr eigenes natürlich ausgenommen).

Die Tatsache, dass oft keine Abteilung einen so hohen Altersdurchschnitt wie die Vorstandsetage ist schnell „weg-erklärt“: Im Management ist das eben anders! Man sammelt ein Leben lang Erfahrungen, um sie dann richtig einzusetzen. Dass das für alle Mitarbeiter gilt, wird dabei gerne differenziert betrachtet: Der Wert einer Erfahrung hängt dann davon ab, wer sie gemacht hat. Was ein Manager im Laufe der Jahre erlebt hat, wird in seinem Kopf zu Erfahrungsgold. Aber was ein Mitarbeiter erlebt hat, schwappt als unnütze Erfahrungsbrühe durch seinen Schädel.

Dieser Standpunkt sieht arrogant darüber hinweg, dass die meisten Mitarbeiter ihr Fach besser als jeder Manager beherrschen. Wer in einem Unternehmen viel erlebt hat, seine Arbeit und seine Kunden seit Jahrzehnten kennt, der verfügt über große Schätze an unternehmensspezifischem Wissen - und kann ein gehobenes Gehalt mehr als wert sein.

Langjährige Mitarbeiter sind quasi die Ureinwohner eines Unternehmens. Ihre Kultur und die des Unternehmens gleichen sich im Lauf der Zeit, sind aber zumindest positiv komplementär. Diese Mitarbeiter kennen das Unternehmen bis in den letzten Winkel: die Kultur, die Eigenarten, die praktischen Abkürzungen auf Arbeitswegen. Niemand weiß besser, was die Kunden wollen und was zum Unternehmen passt.

Ältere Mitarbeiter sind keine Altlasten
Wenn eine Firma ältere Mitarbeiter als Altlasten sieht, sie mit Vorruhestands-Regelungen behelligt, als Bewerber ausgrenzt und von Fortbildungen abschneidet, so ist das nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch eine geschäftliche Dummheit. Naturvölker verehren ihre Stammesältesten und hören auf ihren Rat, weil sie überleben wollen. Unternehmen dagegen verzichten oft auf diese Erfahrung – mit fatalen Folgen.

Ältere Mitarbeiter sind weder auf Mitleid noch auf ein Gnadenbrot angewiesen. Aber die Unternehmen sind angewiesen auf ältere Mitarbeiter, auf ihre Erfahrung und ihr Können.

Schließlich sind langjährige Mitarbeiter nicht "Teil des Unternehmens", Sie sind das Unternehmen. Es pulsiert in ihren Adern. Und ihr Gehirn ist das Archiv. Wenn ein Unternehmen eine neue Strategie ankündigt, müssten die Börsenanalysten nur ein paar Langjährige fragen: "Kann's was werden?" Falls die Ureinwohner die Köpfe schütteln: Verkaufsempfehlung!

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